Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers. Wie Nationen der Armut entkommen

Rezension zu Rainer Zitelmanns neuem Buch: “Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers. Wie Nationen der Armut entkommen”

Klaus Peter Krause

22. Mai 2023 – von Klaus Peter Krause

Was gegen Armut hilft und was nicht. Marktwirtschaftlicher Kapitalismus ja, sozialistischer Kapitalismus nein – Zwei Beispiele: Polen und Vietnam

Zitelmann beginnt sein neues Buch mit einem Kapitel, in dem er zeigt, was nicht gegen Armut hilft, nämlich Entwicklungshilfe. Damit hat er recht. Bekannt ist das seit Jahrzehnten, und berüchtigt dafür ist besonders Schwarzafrika, das große Sorgenkind der Entwicklungshilfe. Seit dort die Kolonialzeit vorüber ist und die Länder politisch souverän sind, wurden Unmengen an Finanz-, Sach- und Beratungsleistungen förmlich in sie hineingepumpt. Aber auf den erstrebten breiten Wohlstand sind diese Länder trotzdem nicht gekommen. Im Gegenteil, es ging mit ihnen eher bergab, die Hilfe verpuffte, hat ihnen sogar geschadet. Beispielhaft sei an den „Bonner Aufruf“ von Afrika-Experten von 2008 für eine andere Entwicklungspolitik erinnert, der die Lage in Afrika wieder einmal öffentlich gemacht hatte: „Nach einem halben Jahrhundert personeller und finanzieller Entwicklungshilfe für Afrika stellen wir fest, dass unsere Politik versagt hat. Die Ergebnisse sind weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.“
„50 Jahre Entwicklungshilfe – 50 Jahre Strohfeuer“

Die Überschrift zum besagten ersten Kapitel in Zitelmanns Buch lautet „Was gegen Armut hilft – und was nicht“. Wohl bleibt für Zitelmann „der Kampf gegen die Armut eine der wichtigsten Aufgaben für die Menschheit“, aber Entwicklungshilfe – politisch korrekt heutzutage Entwicklungszusammenarbeit genannt – sei dafür das falsche Mittel. Oft habe sie nichts bewirkt und manchmal sogar das Gegenteil dessen, was beabsichtigt gewesen sei. Er verweist dabei unter anderem auf das Buch des erfahrenen Entwicklungshilfe-Kenners Frank Bremer mit dessen bitterer Bilanz „50 Jahre Entwicklungshilfe – 50 Jahre Strohfeuer“. Zwar sei die Quote der extremen Armut in den Entwicklungsländern deutlich zurückgegangen (von über 42 Prozent 1981 auf unter 10 Prozent 2021), doch dieser tolle Erfolg sei nicht wegen, sondern trotz der Entwicklungshilfe zustande gekommen.

Eine vernichtende Gesamtbilanz der Entwicklungshilfe

Selbst der Befund einer Untersuchung, wonach eine bessere Qualität der Regierung zu einer größeren Effektivität der Entwicklungshilfe führe und Entwicklungshilfe wenigstens bei guten politischen Rahmenbedingungen einen positiven Effekt habe, halte einer näheren Überprüfung nicht stand. Zitelmann stützt sich dabei auf Bücher wie das von William Easterly, Professor für Ökonomie und Afrikastudien an der New York University, mit dem Titel „Was Development Assistance a Mistake?“. Easterly halte Entwicklungshilfe ebenfalls für weitgehend nutzlos, oft sogar für kontraproduktiv. Dessen Gesamtbilanz der Entwicklungshilfe falle vernichtend aus. Andere Ökonomen seien zum gleichen Ergebnis gekommen.

Märkte funktionieren immer, auch Schwarzmärkte

Was wirklich helfe, seien spontane Entwicklungen des Marktes, also Entwicklungen, die von unten kommen müssten, nicht Experten mit der Anmaßung von Wissen. Vielversprechender und potentiell kosteneffizienter sei der Weg, die betreffenden Länder dabei zu unterstützen, ein wirtschaftliches Umfeld zu schaffen, das mit freien Märkten kompatibel sei, und auf diese Weise die individuellen Anstrengungen und die Kreativität freizusetzen. Man nennt es kurz Marktwirtschaft. Märkte funktionieren immer. Sind es freie Märkte, funktionieren sie besonders gut. Wird ihre Freiheit staatlich beschränkt, entstehen Schwarzmärkte. Auch die funktionieren, aber nicht gut genug.

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Wirtschaftliche Freiräume ermöglichen, um aus eigener Kraft hochzukommen

Für freiheitlich gesinnte Ökonomen versteht sich das von selbst, zumal wenn sie sich im Lehrgebäude der Österreichischen (oder Wiener) Schule der Nationalökonomie bewegen oder in dem der ordoliberalen Freiburger Schule. Aber zu viele Politiker schätzen Freiheit nicht sonderlich, sie reden nur davon. Und zu viele Menschen wissen nichts davon und wählen daher Politiker, die von Freiheit überwiegend nur reden, statt sie ihnen zu bescheren und zu sichern. Zu den liberalen Ökonomen gehört auch Zitelmann. Arme Staaten wie in Afrika oder woanders sollten für ihre Bürger und Unternehmen wirtschaftliche Freiräume ermöglichen, um aus eigener Kraft hochzukommen, und auf diese Weise die herkömmliche Entwicklungshilfe aus erfolgreichen Staaten ersetzen.

Vor 30 Jahren zwei der ärmsten Länder: Polen und Vietnam

Zitelmann formuliert das so: Das Marktsystem

beruht darauf, dass derjenige reich wird, der die Bedürfnisse möglichst vieler Konsumenten befriedigt. Das ist die Logik des Marktes. Und das für kapitalistische Systeme charakteristische Wirtschaftswachstum ermöglicht es, dass manche Menschen und auch ganze Nationen reicher werden – ohne dass dies auf Kosten anderer Menschen und Nationen geschieht, die gleichsam automatisch ärmer würden.

Das wolle er am Beispiel von zwei Ländern zeigen, die beide noch vor 30 Jahren sehr arm gewesen seien – Polen und Vietnam. Warum diese beiden? Sie waren Schauplatz schrecklicher Kriege mit großem Verlust an Menschen. Sie haben nach den Kriegen sozialistische Planwirtschaften errichtet, die zerstört haben, was der Krieg noch nicht zerstört hatte. Vietnam war eines der ärmsten Länder auf der Erde, Polen eines der ärmsten in Europa. Beide Länder haben in den vergangenen Jahrzehnten stark an wirtschaftlicher Freiheit gewonnen, stärker als Länder vergleichbarer Größe.

Um Armut zu überwinden, Reichtum zulassen

Und noch etwas ist für Zitelmann Auswahlkriterium gewesen: Nach repräsentativen Meinungsumfragen sehen die Menschen in den beiden Ländern Reichtum und Reiche vergleichsweise besonders positiv. Was meint er damit? In seinen Forschungen sei er zu dem vermeintlich paradoxen Ergebnis gekommen, „dass nur eine Gesellschaft, die Reichtum zulässt und Reichtum positiv sieht, Armut überwinden kann“. Zugleich seien dies auch „Länder, in denen die Menschen – trotz der unterschiedlichen politischen Systeme – den Begriff ‚Kapitalismus‘ sehr viel positiver beurteilen als ihre Zeitgenossen in den meisten anderen Ländern“.

Kapitalismus in marktwirtschaftlicher und sozialistischer Spielart

Mit „Kapitalismus“ gemeint ist freie Marktwirtschaft. Sozialisten verwenden diesen Begriff als Gegenstück zum Sozialismus, und Nicht-Sozialisten haben ihn sich aufdrängen lassen, ebenso Zitelmann. Aber auch Sozialismus kommt ohne Kapital (Sach- und Geldkapital) nicht aus, ist insofern ebenfalls Kapitalismus, wenn auch in einer anderen Spielart. Die Unterscheidung müsste demnach lauten „marktwirtschaftlicher Kapitalismus“ und „sozialistischer Kapitalismus“. Marktwirtschaftler und Sozialisten gehen mit dem Kapital nur sehr viel anders um. Nicht-Sozialisten sollten das Wort „Kapitalismus“ meiden, wenn sie „freie Marktwirtschaft“ meinen, und daher lieber von „Marktwirtschaft“ sprechen. Sozialisten dagegen meiden das Wort Marktwirtschaft und nennen sie „Kapitalismus“; in ihrem Mund hat Kapitalismus einen diffamierenden Beiklang, und der ist so auch gemeint.

Die vier Kapitel, die miserable Ausgangslage

Zitelmanns Buch hat vier Kapitel. Das erste stellt fest, dass die herkömmliche Entwicklungshilfe gegen Armut nicht hilft. Das zweite beschreibt den wirtschaftlichen Aufstieg Polens, das dritte den von Vietnam, das vierte zieht ein Resümee mit dem Titel „Wohlstand und Armut von Nationen“. Für beide Länder stellt Autor Zitelmann eindrucksvoll zunächst die Ausgangslage dar – für Polen mit den Unterkapiteln Ein geschundenes Land und Sozialismus in Polen, für Vietnam mit den Unterkapiteln Ein Land im KriegSozialistische Planwirtschaft im Norden und im SüdenLebensbedingungen in den 80er Jahren. Die Polen waren 1988/89 ärmer als ein Durchschnittsbürger in Gabun, der Ukraine oder in Surinam, die Regale in vielen polnischen Geschäften noch leerer als zuvor, die Ausgangsbedingungen miserabel. In Vietnam lebten noch 1993 knapp 80 Prozent der Vietnamesen in Armut. Bis 2006 hatte sich die Quote auf 51 Prozent verringert. 2020 lag sie bei nur noch 5 Prozent.

Rettung durch unternehmerische Freiheit und einen Ökonomen

Dann der Umschwung. Die Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufstieg Polens schuf der politische Wandel in den 1980er Jahren. Der entscheidende Impuls für das Ende der sozialistischen Diktatur ging mit Streiks und anhaltenden Protesten von den Arbeitern aus, besonders von den Werftarbeitern in Gdingen und Danzig. Das Übrige bewirkte die aussichtslose Wirtschaftslage und die daraus resultierende Erkenntnis der politischen Führung, nur mehr unternehmerische Freiheit könne Polen retten. 1988, in den letzten Monaten der Polnischen Volksrepublik, wurde das Gründen von kleinen Unternehmen eingeleitet. Jeder durfte sich frei unternehmerisch betätigen und mit dieser Tätigkeit alles tun, was nicht durch das Gesetz verboten war. Das Ergebnis, so Zitelmann, sei beeindruckend gewesen, und das Gesetz habe viel unternehmerische Initiative freigesetzt. Aber es war erst nur eine Teillösung. Das notwendige Weitere besorgte der Wirtschaftswissenschaftler Leszek Balcerowicz, der 1989 als „Polens Ludwig Erhard“ Vizepremier und Finanzminister wurde. Mit entschlossenen, schnellen und radikalen Reformmaßnahmen nutzte er sein kurzes Zeitfenster und hatte mit den Reformen großen Erfolg.

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Was Sie für unser aller Freiheit tun können

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Die notwendigen Persönlichkeiten

In einem weiteren Unterkapitel befasst sich Zitelmann mit der Frage, was andere Länder von der polnischen Erfahrung lernen können. Zuerst sollte an der Spitze des Reformprozesses jemand stehen, der ein klares marktwirtschaftliches Koordinatensystem habe. Das sei in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg mit Ludwig Erhard so gewesen, in den 80er-Jahren in Großbritannien so mit Margaret Thatcher, in den USA mit Ronald Reagan und in Polen mit Leszek Balcerowicz. Zu ergänzen wäre, dass solche Persönlichkeiten Vertrauen ausstrahlen sollten, Vertrauen dann gewinnen und Vertrauen verdienen.

Reformen müssen schnell kommen und radikal sein

Ohne Balcerowicz wäre das polnische Wirtschaftswunder nicht möglich gewesen. Entscheidend für den Reformerfolg, so Zitelmann, sei aber eine sehr schnelle Ausführung, „bevor Medien und politische Gegner mit populistischen Parolen Stimmung gegen die Reformen machen würden“. Zudem müsse die Reform auch radikal sein:

Das Reformprogramm gehörte zu den radikalsten wirtschaftlichen Reformprogrammen, die es in der Weltgeschichte je zu Friedenszeiten gegeben hat.

In einem weiteren Unterkapitel warnt Zitelmann:

Die Polen dürfen die Gründe für ihren Erfolg nicht vergessen.

Der Sozialneid gegenüber reichen Menschen

Anschließend folgen die Unterkapitel „Was die Polen über den Kapitalismus denken“ (Stichwort: weniger Marktwirtschaft und mehr Staat?) und „Was die Polen über reiche Menschen denken“ (Stichwort: Sozialneid). Hierzu findet der Leser das, was von Zitelmann in Auftrag gegebene und kommentierte Befragungen ergeben haben. Eines der vielen Ergebnisse: Der Sozialneid gegenüber reichen Menschen kommt in Deutschland deutlich stärker zum Ausdruck als in Polen.

Der klare marktwirtschaftliche Kompass

Für Zitelmann zeigt das Beispiel Polen, „wie sehr kapitalistische Reformen das Leben der Menschen in einem Land verbessern können – und dass dabei zuweilen Schnelligkeit und Radikalität gefragt sind. Polen hatte das

Glück, in einer entscheidenden Phase seiner Geschichte von Politikern geführt zu werden, die ehrlich waren und einen klaren marktwirtschaftlichen Kompass hatten. Zwei Dinge, die leider für viele andere ehemals sozialistische Länder nicht zutreffen.“

In Vietnam eine ähnliche Entwicklung wie in Polen

In Vietnam verlief die Entwicklung ähnlich wie in Polen, auch wenn Vietnam das Einparteiensystem beibehielt und sich offiziell nach wie vor als „sozialistisch“ bezeichnet. Nach dem Krieg führte Vietnam die sozialistische Planwirtschaft ein. Weil auch sie mit verheerenden Auswirkungen scheiterte, sah sich Vietnam ebenfalls zu marktwirtschaftlichen Reformen gezwungen. Sie begannen fast zum gleichen Zeitpunkt wie in Polen. Doch waren es zunächst nur „bescheidene Reformen, die oftmals nur das legalisierten, was bereits vorher spontan stattgefunden hatte – auf dem Land ebenso wie in den Städten“. Zitelmann konstatiert: Kapitalismus (also Marktwirtschaft) könne nicht verordnet werden, „sondern er wächst in einem spontanen Prozess von unten, und das Beste, was die politische Führung tun kann, ist, diesen Prozess nicht zu stören oder zu verhindern“.

Das Eingeständnis des Scheiterns und die „Doi-Moi“-Reformen

Dann kamen mit dem VI. Parteitag vom Dezember 1986 die „Doi-Moi“-Reformen („Doi Moi“: Erneuerung). Offen gestand die Parteiführung ein, dass die Jahre 1976 bis 1980 verlorene Jahre waren. In ihrem Bericht führte sie unverblümt auf, was und wo es im Argen lag. Der Parteitag beschloss, mehr Markt zu wagen und die allmächtige Rolle des Staates zurückzudrängen. Das bedeutete freilich nicht die plötzliche Abkehr von der staatlichen Planwirtschaft und den Übergang zur freien Marktwirtschaft, sondern offiziell nur, dass der staatliche, der genossenschaftliche und der private Sektor gleichberechtigt nebeneinander existieren sollten. Aber Privateigentum an Produktionsmitteln war nicht mehr verpönt, und man wollte sich gegenüber dem kapitalistischen Ausland öffnen.

Reiche und Reichtum nicht mehr verpönt

Anders bewertet wurden nun auch Reiche und Reichtum. Wie in China die ökonomischen Reformen von Deng Xiaoping mit seiner Parole „Lasst erst mal einige reich werden“ begonnen hatten, hörte man auf dem VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams: „Wir sollten keine Angst davor haben, dass einige Leute wohlhabend werden. Denn unser Land wird nur dann stark sein, wenn unsere Menschen wohlhabend sind.“

Reformbeginn in kleinen Schritten

1988 begannen die Reformen Gestalt anzunehmen. Das Buch zählt sie auf. Man begann mit Experimenten auf lokaler Ebene, und wenn diese erfolgreich waren, wurden sie auf die gesamtstaatliche Ebene übertragen. Ein Schwerpunkt der Reformen lag in der Landwirtschaft. Die bäuerlichen Familienbetriebe durften selbständig arbeiten. Ebenfalls mehr Selbständigkeit bekamen die Betriebe in Gewerbe und Industrie. Private Betriebe durften nun unbegrenzt Arbeitskräfte einstellen. Vorher hatte es Privatbetriebe gar nicht gegeben, abgesehen von Familienbetrieben, die aber keine Lohnarbeiter beschäftigen durften. Doch eine große Privatisierungswelle wie in manchen osteuropäischen Ländern fand vorerst nicht statt. Wie in Polen blieben Staatsbetriebe zwar bestehen, verloren aber gegenüber der privaten Wirtschaft relativ an Bedeutung.

Reformanstöße durch spontane Entwicklungen von unten nach oben

Schon 1987 öffnete sich Vietnam ausländischen Investoren. 1989 liberalisierte es (mit einigen Ausnahmen) die Preispolitik. 1990/91 führte es die Rechtsformen des Einzelunternehmens, der Gesellschaft mit beschränkter Haftung und der Aktiengesellschaft ein. 1992 verankerte es in seiner Verfassung den Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln vor einer Enteignung.

Im Mai 1999 beseitigte ein neues Unternehmensrecht für private Firmen weitere bürokratische Hürden. Die Reformen, so Zitelmann, sind ein ständiger Prozess. Dazu die wichtige Beobachtung: Man solle aber nicht vergessen, dass sie ihren Ausgangspunkt in spontanen Entwicklungen in Richtung mehr Markt gehabt hätten, die dann der Parteitag legitimiert habe. Allerdings notgedrungen, wäre zu ergänzen. „In Wirklichkeit war die Reform größtenteils eine verspätete Genehmigung der Aktivitäten, die sich zuvor in der ‚Grau- oder Schwarzzone‘ bewegt hatten.“ Heute sagt man dazu bottom-up statt top-down.

Die Probleme Staatsbetriebe, Korruption, Ein-Parteien-Herrschaft

In weiteren Unterkapiteln beschreibt Zitelmann, wie die Reformen das Leben der Vietnamesen verbessert haben, wie Vietnam von der Globalisierung profitiert, welche wichtige Rolle Frauen in Vietnam spielen, wie Vietnamesen reiche Menschen und den Kapitalismus sehen. Aber es bleibe noch viel tun. Er verweist hierzu auf das Problem Staatsbetriebe und Korruption, auf die Ein-Parteien-Herrschaft. Die Ursachen des Erfolgs der Vietnamesen sieht er in deren „Pragmatismus und Gegenwartsorientierung“.

Vietnam mit mehr Einwohnern als jedes europäische Land

Nebenbei erfährt der Leser über Vietnam, dass dort in den letzten tausend Jahren die Perioden des Krieges länger waren als die des Friedens und dass sich Vietnam immer wieder gegen fremde Eindringlinge und Besatzer hat zur Wehr setzen müssen – gegen Chinesen und Mongolen, gegen Japaner und Franzosen, zuletzt gegen die USA mit furchtbaren Zerstörungen und großen und (durch Gifteinsätze, Napalmbomben) auch grausamen Menschenverlusten. Aber ebenfalls gegen vieles andere mehr. Heute hat Vietnam mit fast 100 Millionen Menschen mehr Einwohner als jedes europäische Land (bis auf den europäischen Teil Russlands), also mehr auch als Deutschland, die Türkei, Großbritannien, Frankreich, Italien oder Spanien.

Wenn Vietnam weiter dem marktwirtschaftlichen Weg folgt

Aus den von Zitelmann in Vietnam veranlassten Befragungen zieht Zitelmann unter anderem diesen Schluss:

Obwohl Vietnam sich sozialistisch nennt, orientieren sich die Menschen – vor allem die jungen – eher an den kapitalistischen Ländern wie Japan oder den USA. Sie haben erfahren, dass Kapitalismus nicht – wie viele Menschen im Westen glauben – für Armut verantwortlich ist, sondern ganz im Gegenteil, dass nur Kapitalismus hilft, der Armut zu entrinnen. Wenn Vietnam weiter dem marktwirtschaftlichen Weg folgt und die Reformen, die noch ausstehen, wirklich durchführt, hat es die Chance, eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt zu werden. Sollte Vietnam jedoch – so wie China in den letzten Jahren – vergessen, was die Gründe für die enorme Verbesserung des Lebensstandards sind und wieder mehr auf den Staat setzen, dann hieße dies, eine riesige Chance zu verspielen.

Im Untergrund marktwirtschaftliche Strukturen schon in sozialistischer Zeit

In einem vierten und Abschlusskapitel befasst sich Zitelmann resümierend mit dem Thema „Wohlstand und Armut von Nationen“. Ein Fazit darin lautet:

50 Jahre Entwicklungshilfe und über 100 Jahre Erfahrungen mit sozialistischen Experimenten haben gezeigt, dass Armut nicht durch Umverteilung überwunden wird. … Trotz schrecklicher Zerstörungen durch Krieg und Sozialismus haben es diese Länder geschafft, mehrere Jahrzehnte lang den Lebensstandard der Menschen Jahr für Jahr zu verbessern Das Rezept war in beiden Fällen ähnlich: kapitalistische Reformen. Aber solche Reformen können nicht einfach von oben verordnet werden. In Polen und Vietnam hatten sich schon in der sozialistischen Zeit im Untergrund marktwirtschaftliche Strukturen herausgebildet.

Das zeigt: Der Markt ist nicht totzukriegen. Wo er als frei verboten ist, bricht er sich im Untergrund Bahn als „schwarzer“ Markt.

Eine Erkenntnis aus den Beispielen Polen und Vietnam formuliert Zitelmann so:

Das Beste, was die politische Führung tun kann, ist, sich den spontanen Entwicklungen nicht entgegenzustemmen, sondern einen legalen Rahmen dafür zu schaffen, der Rechtssicherheit bringt.

Am Ende ein Appell: Studiert die Geschichte von Polen und Vietnam

Sein Buch ist lehrreich. Es vermittelt auf verständliche, leicht lesbare Weise wichtige ökonomische Zusammenhänge und bietet über beide Länder viel an Informationen, die für die wohl meisten Leser vorher unbekannt gewesen sind. Zitelmann beendet sein Buch mit einem Appell.

Er hoffe, dass sich die Menschen in vielen heute armen Ländern an Polen und Vietnam ein Beispiel nehmen.

Ich möchte ihnen zurufen: Hört auf, euch mit der Vergangenheit zu befassen und nach Schuldigen im Westen zu suchen, hört auf, zu glauben, der Westen könne euch mit ‚Entwicklungshilfe‘ aus der Armut befreien. Studiert die Geschichte von Polen und Vietnam, denn sie enthält den Schlüssel, zu verstehen, wie Nationen der Armut entkommen!

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Über Klaus Peter Krause: Jahrgang 1936. Abitur 1957 in Lübeck. 1959 bis 1961 Kaufmännische Lehre. Dann Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kiel und Marburg. Seit 1966  promovierter Diplom-Volkswirt. Von 1966 bis Ende 2001 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, davon knapp elf Jahre (1991 bis Ende 2001) verantwortlich für die FAZ-Wirtschaftsberichterstattung. Daneben von 1994 bis Ende 2003 auch Geschäftsführer der Fazit-Stiftung gewesen, der die Mehrheit an der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Frankfurter Societäts-Druckerei gehört. Jetzt selbständiger Journalist und Publizist. Seine website ist www.kpkrause.de

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